Und quillt empor wie Eiter

Dann bin ich nackt, wenn meine Angst mich wieder packt
die Haut liegt bloß, die Einsamkeit in mir wird groß
und größer und zuletzt bin ich gelähmt davon wie jetzt
– und quillt empor wie Eiter

Da seid ihr Schatten nur in meinem Traum der Welt
die sich schön langsam von der euren pellt
da dräng ich mich an euch in meiner Gier
nach Schutz und Wärme, wie ein wundes Tier

Doch für ein solches gibts nur Mitleid oder Tod
da wähl’ ich ersteres in meiner Not
In meiner Angst schenk’ ich euch meine Hand
und werf’ ein Lächeln von der Lippen Rand

Zwing mich in Augen und Gesicht zu schau’n
in eure Zähne, euer Gottvertrau’n
Da regt sich tief in euch das richtige Gespür
für alles, was gefährlich ist, sprich nicht wie ihr

Und ich bin nackt, wenn ihr mit Scherzen nach mir schlagt
die Haut liegt bloß, für euer Lachen, für den Stoß
den ihr mir setzt, und eure Schuppen an mir wetzt
– da quillts empor wie Eiter

Dann lasst ihr ab von mir und meinem Traum
ich wein’ euch nach – ihr hört es kaum
denn meine Schwäche hat euch stark gemacht
Doch nun schlägt meine Sehnsucht um, ganz sacht

zieh’ ich zurück die ausgestreckte Hand
und ball zur Faust die Finger, die verbrannt
ich such’ in eurer Mauer jenen lock’ren Stein
lös ihn und brach vor mir liegt euer Haut und Bein

Ich werf’ euch euer Lachen krachend ins Gesicht
ist da ein Knirschen, als wenn Knochen bricht?
Nun steigt in eure Augen blank die scheele Wut
weil wer getreten wird nicht selber treten tut

Da bin ich nackt, wenn ihr mit Fäusten in mich schlagt
die Haut liegt bloß, für eure Zähne, für den Stoß
den ihr mir setzt, vielleicht an einer Klippe, doch zuletzt
– quillts empor und heiter …

 

Erschienen in:
Literaturzeitschrift Dichtungsring, Ausgabe 63 – Zorn
Ulrich Bergmann, I. J. Melodia, Werner Pelzer (Hrsg.), Juni 2023
Bestellen über versand(at)dichtungsring-ev.de

Veröffentlicht von

Johann Seidl

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