Wild Red № 42

Auszug aus der Kurzgeschichte

»Britannien, frohlocke, du nennst ihn dein Eigen,
vor dem Europas Bühnen sich verneigen.
Nicht einer Zeit gehört er, sondern allen Zeiten!«
(Ben Jonson, 1623)

Als Will in der Tür des Rusty Outpost erschien und die gut gefüllte Bar mit einem unverbindlich freundlichen Blick, aber unverkennbar wachen Auges auf einen freien Platz durchmusterte, wusste ich sofort, dass mir dieser Abend lange im Gedächtnis bleiben würde.
Celeste hatte mir gerade in ihrer unvergleichlichen Art mein zweites Bier derart unwirsch auf den Tisch gestellt, dass die Blume, weiß wie die Supernova eines Blauen Riesen, quer über den Tisch spritzte und mich, ohne dass ich den Krug hätte heben müssen, vom würzigen Hausbräu kosten ließ.
»Wahrscheinlich stimmt ihr Umsatz heute nicht«, dachte ich bei mir, und meine zwei Bier in einer knappen Stunde würden ihre Kasse wahrlich auch nicht heller klingeln lassen. Zumal der Ausschank schnöden Gerstensafts ja auch nicht wirklich ihr Job war und sie nur einspringen musste, weil die zickigen autonomen Bierbrunnen gerade mal wieder gehackt worden waren und alle am Tisch vom OO´Klaak festhingen, um ihm über seine fünf rosa Rüssel eine ekstatische Bierdusche zu verabreichen.

veröffentlicht in:
Das Alien tanzt im Schlaraffenland –
Schmackhafte SF und Fantastik aus einem hungrigen Universum

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Hinterhof

Auszug aus der Kurzgeschichte:

„Ich berühre das Fenster und blicke in den Hof. Die Zeit läuft: Da sind Menschen, verschwommen wie in Langzeitbelichtung, Bäume, im Wind zu breiten, grünen Flächen verweht – das Rot der Trümmer teils verwaschen.
Ich nehme die Hand vom Glas. Stopp. Echtzeit.
Rechts öffnet eine eingestürzte Fassade den Blick in den Himmel und zu den alten Pappeln im Park nebenan. Balken ragen aus dem urbanen Geröll wie die Finger eines Verschütteten. Licht fällt in den Hinterhof. Frauen sortieren die noch brauchbaren roten Ziegel für die Weiterverwertung, Bettlaken blähen sich auf improvisierten Wäscheleinen, ein alter Mann sitzt auf den Steinen und schaukelt einen Kinderwagen – es ist Kriegsende, Wiederaufbau, Juni ’47 …“ Hinterhof weiterlesen

Operation Christbaum

Auszug aus der Kurzgeschichte:
„Vater war Gefängniswärter, aber ich glaube nicht, dass er sich selbst so bezeichnet hätte. Einerseits versuchte er, der in seinen jungen Jahren viel harte Arbeit, Entbehrung und auch Krieg erlebt hatte, ein Leben lang die luftigeren Fäden im grob gewirkten Stoff des Daseins zu erhaschen.
Er suchte die Wahrheit hinter den Dingen und das Schöne an ihnen und mit der so feinsinnigen und außerordentlich schönen – und leider später auch todkranken Frau – hatte er tatsächlich ein kleines Stück der unerträglichen Leichtigkeit des Seins für sich gewinnen können. Andererseits war er immer der Bauernbub aus dem bayerischen Hinterland geblieben und der Wald – das Holz, wie dieser Pars pro Toto genannt wurde – war tief in ihm verwurzelt. … Operation Christbaum weiterlesen

Autonomie Neunenz

Auszug aus der SF-Story

Post-Climate-Fiction-Stories

„Vlada kehrte von ihrer Arbeit an den Feldern zurück. Die Brandflächen der Taiga wurden von der  neu gebildeten Gemeinschaft von Aufwuchs befreit, um Ackerland für die gemeinsame Versorgung zu gewinnen. Sie trat in ihre kleine Hütte. Vladimir fütterte Mischa mit Getreidebrei und vorgekautem rohem Fisch.
Das wunderte sie immer noch, dass ein Mann freiwillig die Haus- und Kinderarbeit mit ihr teilte. Die Jäger und Hirten der Nenzen waren Jahrtausende lang in Familienclans patriarchalisch organisiert. Das kollidierte mit den emanzipierten Strukturen der Öko-Kommune. …“

Axel Aldenhoven, selbst erfolgreicher Autor, Buchrezensent und SF-Blogger schreibt dazu:

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Eine kurze Geschichte mit Zeit

Auszug aus der Kurzgeschichte:

Letztlich bedeutete dies, dass alles, wirklich ALLES was möglich und denkbar ist, in irgendeiner dieser unzähligen Universen und deren Welten Wirklichkeit geworden ist oder werden wird.
Kurt lacht spöttisch in sich hinein. Alles wäre möglich: Der Weltfriede, die Abschaffung der Sommerzeit, ein Porsche in seiner Garage… und Greta, die ihn nicht wegen dieses leicht schwebenden, aber zugegeben sehr erfolgreichen Qigong Lehrers verlassen hat.

Möglicherweise, und wenn man den Multiversums-Fuzzis glauben darf, dann ganz sicher, gibt es also unter diesen unendlichen Möglichkeiten irgendwo einen Kosmos, in dem er nicht ein alternder, zynischer Schreiberling ist, von der Ehefrau verlassen und verstrickt in einen täglichen Kampf gegen eine Betaversion des  Mechanismus von Antikythera. Eine kurze Geschichte mit Zeit weiterlesen

Gedanken-Sklaven auf Terra

Rebellion in Sirius City – Collection of Retro Science Fiction Stories Verlag für Moderne Phantastik Gehrke, 2020

Auszug aus der Retro-Science-Fiction Story:

„… An einer dieser Schleusen war auch Mullers Weltraumclipper angedockt. Ein Aufzug brachte ihn erst von der Spitze des Hub nach “unten” in die Ringebene und dann von dort in einer der vier Speichen nach außen zu den Wohn– und Arbeitsquartieren im Ring. Die dabei wechselnden Beschleunigungsvektoren und damit das, was gemeinhin als Boden verstanden wird, verursachten trotz aller Vorbereitung Muller etwas Schwierigkeiten. Auch wieder etwas, das im 3D-Hologramm des Handbuchs klar und verständlich war, in der physischen Realität aber ungeahnte Herausforderungen mit sich brachte. Gedanken-Sklaven auf Terra weiterlesen

Tränen im Staub

Auszug aus dem Essay:

„Karl schälte sich langsam aus seinen Träumen. Regen! In Böen prasselten die Tropfen an das Fenster. Das hörte sich gut an! Aber selbst in der Dämmerwelt kurz vor dem Erwachen wusste er: das konnte nicht sein, es ist nur ein Traum.
Am Waschtisch: Ein halber Liter Wasser, Waschlappen und wenig Seife, biologisch abbaubar. Er musste sparsam sein mit dem Wasser, sein Monatskontingent an Brauch- und Trinkwasser war fast aufgebraucht.
Nach einer Tasse Kaffee-Ersatz machte sich auf seinen täglichen Weg zum Fraunhofer-Absorber. Die Anlage zur Wassergewinnung aus der Luft lag etwas außerhalb der Stadt und er musste sich beeilen, bald würde es heiß werden. Sandwehen türmten sich in den Häusernischen, Karls schneller Schritt ließ Staubfontänen aufsteigen. …“ Tränen im Staub weiterlesen

Das Alien tanzt Kasatschok

Auszug aus der Kurzgeschichte

Cover von Das Alien tanzt Kasatschok

Angefangen hat alles, als der Kühlschrank kein Bier mehr bestellte. Dachte mir: shit, der smartCooler® ist kaputt. Aber da war das rote, blinkende Info–Hologramm über dem Flaschenhalter:
»Ihre Leberwerte sowie das EtG–Urinscreening geben digitalHealth Anlass zu Besorgnis. Der Konsum von alkoholhaltigen Getränken wird eingeschränkt. Sie können die Tür erst schließen, wenn Sie der Maßnahme zustimmen. digitalHealth bittet um Verständnis und kommt für etwaige  Schäden an den verderblichen Gütern im Kühlschrank nicht auf. Sagen Sie »ok«, wenn Sie die Bedingungen akzeptieren und schließen Sie die Tür« … Das Alien tanzt Kasatschok weiterlesen